Am letzten Wochenende habe ich Robert Gonzales kennen gelernt.

Das Seminar (welches übrigens hervorragend organisiert wurde von Jürgen Engel und Iris Bawidamann!) mit ihm hat mein Verständnis von Gewaltfreier Kommunikation auf eine höhere Ebene gebracht.

Ich habe eine Zeitlang die Auffassung vertreten, Bedürfnisse seien im Gespräch gar nicht so besonders wichtig, sondern dass es mehr auf die Gefühle ankomme. Das hat sich durch das Seminar grundlegend verändert. Robert sagt, dass wir durch die Bedürfnisse zur Essenz kommen – sie sind wie das Tor ins Sein.

Bei „handelsüblicher“ GFK geht es darum, dass die Bedürfnisse des Gegenübers gesehen werden. Bei dem Ansatz von Robert will ich in meinen Bedürfnissen gesehen werden. Das Bewusstsein ist hier nicht bedürfnisorientiert, sondern seelenorientiert.

Das Seminar hatte viele wertvolle Momente, aber am meisten hat mich der dritte Tag erreicht: Es ging darum, zu erkennen, wie sehr unser unschuldiges Selbst in der Kindheit durch vielfältige traumatische Erlebnisse so geschockt und verletzt wird, dass wir uns anzupassen, um zu überleben. Es wurde mir klar, dass Erziehung eigentlich fast immer Traumatisierung bedeutet. Ein Kind sucht eigentlich ein energetisches Ja; es will gesehen werden, akzeptiert werden, egal was es tut, damit das Leben in ihm wachsen kann. Es braucht die Erfahrung, wertvoll und vollständig zu sein.

In vielen Situationen erhalten wir jedoch ein energetisches Nein. Wir lernen daraus, du bist nicht okay, weil du das machst. Und in diesem Schock treffen wir eine Entscheidung: Ich werde das nie wieder tun, denn es ist zu gefährlich, ich selbst zu sein. Wenn ich mich selbst zeige, sterbe ich. Ich werde mich nicht mehr ausdrücken, wenn das so gefährlich ist. Ich werde sehr wachsam sein und eine Maske zeigen, damit ich nicht angeschrien oder geschlagen werde. Dann bin ich in Sicherheit. Und so denke ich irgendwann, ich sei wirklich so. Ich bin eine Identität.

Jedes Urteil, das wir fällen, ist eine wach gewordene Wunde, die ruft „Sieh mich!“

Robert sagt, jede Anspannung, jede Angstsituation,  jedes einzelne Urteil, dass wir über uns oder über jemand anderen fällen, ist eine Waise meines Seins, eine ungeheilte Wunde, die wir in den Rand unseres Seins geschoben haben. Jedes einzelne Mal, wenn ich urteile, ängstlich bin oder wütend, schreit eine wach gewordene Wunde „Sieh mich!“

Durch dieses Seminar erkannte ich, wie sehr fast alle Menschen traumatisiert sind. Oft reagieren wir gar nicht auf die Person, die vor uns steht, sondern wir rekonstruieren ständig das Trauma unserer Kindheit. Wenn wir z.B. in unserer Kindheit oft geschlagen wurden und in ständiger Angst lebten, fühlen wir uns vielleicht schnell bedroht, angegriffen und verletzt, auch wenn das Gegenüber gar keine böse Absicht hat. Ich z.B. reagiere sehr empfindlich auf Lärm und bin sehr schreckhaft. Wenn jemand schreit, erstarre ich (was nicht heißt, dass ich nicht selbst schreien würde), sogar, wenn ich gar nicht gemeint bin.

Robert Gonzales sprach von Entwicklungstraumata, und diese sehen von außen betrachtet völlig harmlos aus (wie z.B. die Anweisung, nicht in der Nase zu bohren). Sehr oft ist uns nicht einmal bewusst, dass wir traumatisiert sind, sondern verharmlosen das elterliche Verhalten sogar („Die Ohrfeigen meines Vaters haben mir nicht geschadet!“).

Und ich will das traumatisierende Verhalten auch gar nicht verurteilen, denn a) weiß man nicht, was wen wann traumatisiert, und b) verhält sich jeder Elternteil so gut er kann. Niemand beabsichtigt, sein Kind zu traumatisieren, sondern jede Mutter und jeder Vater wurde ja selbst traumatisiert.

Wir sind alle verbeult. Niemand ist unversehrt.

Seit diesem Seminar sehe ich die Welt mit anderen Augen. Ich bin in tiefem Kontakt damit, wie sehr wir alle auf individuelle Art und Weise verbeult sind. Es gibt niemanden, der völlig unversehrt erwachsen wurde. Wenn sich jemand von mir angegriffen fühlt, gibt er mir vielleicht unbewusst eine Rolle in seinem Trauma. Die Verurteilung, mit der er mich überzieht, richtet sich in Wirklichkeit gar nicht gegen mich, sondern gegen seine Mutter oder seinen Vater. Auf der anderen Seite bedeutet das aber auch, dass ich nicht wirklich gesehen werde, sondern nur eine Rolle inne habe, die ich nicht einmal kenne. Wenn mein Trauma darin besteht, dass ich nicht gesehen werde, dann wird dies durch diese Erfahrung ebenfalls aktiviert.

Die Heilung besteht darin, meinem Inneren verwundeten Kind Unterstützung zu geben. Ich kann und soll ihm all das geben, was es braucht und wonach es sich so sehr sehnt. Ich bin mir selbst Vater und Mutter. So lange ich im Außen suche, wird mein Inneres Kind niemals satt. Innere-Kind-Arbeit ist also immer Selbstempathie zwischen erwachsenem Ich und innerem Kind. Wenn ich mir vorstelle, die Sehnsucht z.B. nach Liebe oder Zugehörigkeit sei erfüllt und quasi in Liebe und Zugehörigkeit bade (in meiner Vorstellung), und dann auch das Innere Kind darin einhülle, dann kann ich es Stück für Stück heilen.